Das Kratzen der Schlittschuhkufen mischt sich mit dem Gelächter von Kindern. Aus den Boxen swingt sanft Disco-Musik aus jener Zeit, als die Zukunft noch eine funkelnde Rakete war, die zum Mond flog, und kein traurig dreinblickender Eisbär, dem seine Lebensgrundlage unter den Füßen wegschmilzt.
Sorglos gleiten die Wintersportler, und dann verdunkelt sich das Bild, schwarzgekleidete Gestalten mischen sich unter die Menge, auf Schlittschuhen auch sie. Vor das Gesicht haben sie einen Pinguinschnabel aus Pappe gebunden, in der Hand halten sie Transparente mit Aufschriften wie: "BA will fly - we die". BA wird fliegen - wir sterben.
Die Disco-Musik weicht einer Durchsage. "Aus Sicherheitsgründen werden wir das Eislaufen für einige Minuten unterbrechen." Männer in dicken Jacken grapschen nach den Transparenten, zerstören sie leise.
Auf einem Balkon über der Eisfläche steht ein Pinguin und entrollt ein großes orangefarbenes Banner: www.planestupid.com. Ein paar Eltern klatschen Applaus. Sie kennen das Wortspiel. Plane heißt Flugzeug, und plain stupid heißt superdoof.
"Wäre es nicht schön", sagt der Pinguin auf dem Balkon, er hat den Schnabel abgenommen und heißt Leo Murray, "wenn wir die Kurzstreckenflüge reduzieren könnten?" Murray, 31, trägt ein dunkelblaues Samtjackett mit einer Smokingfliege, er ist einer der Anführer von "Plane Stupid" und zittert in der Morgenkälte.
"Plane Stupid" will die Luftfahrtindustrie ärgern, den Ausbau von Flughäfen verhindern und, auf vorsichtige Weise, die Bevölkerung erziehen. Murrays Initiative ist eine sehr britische Reaktion auf jenes Viel- und Billigfliegerphänomen, das auf der Insel in den vergangenen Jahren exzessive Züge angenommen hat.
Eine Partynacht auf Ibiza, ein Skiwochenende in der Schweiz, ein Junggesellenabschied in Prag, eine Shoppingtour in Barcelona, ein Champions-League-Spiel in Rom - Ryanair, Easyjet und die anderen sorgen dafür, dass ein Trip dorthin oft weniger kostet als ein Abend zu Hause im Pub um die Ecke.
"Bingeflying" heißt diese neue Art des Reisens, ähnlich wie "Bingedrinking", Kampftrinken, jene urenglische Angewohnheit, in möglichst kurzer Zeit möglichst viel Alkohol in sich hineinzuschütten.
Fliegen bis zum Umfallen - "das hat England verändert", sagt Murray. "Es gibt Leute, die finden es normal, ein Ferienhaus in Bulgarien zu kaufen und dort sechs-, siebenmal im Jahr hinzudüsen." Anstatt nach Clacton-on-Sea.
Großbritannien ist nicht nur das Mutterland des Billigfliegens, die Bewohner zählen auch statistisch zu den eifrigsten Flugzeugbenutzern weltweit. Drei Prozent beträgt durchschnittlich der Anteil des Flugverkehrs am CO2-Ausstoß global, auf der Insel sind es 6,3 Prozent, Tendenz steigend. In Heathrow, einem der weltweit größten Flughäfen, werden allein jährlich 31 Millionen Tonnen Kohlendioxid in die Luft geblasen. Die britische Regierung hat verkündet, bis zum Jahr 2030 dreißig große Flughäfen ausbauen zu wollen. Die Zahl der Passagiere, die jährlich im Vereinigten Königreich abgefertigt werden, soll auf 465 Millionen steigen. Gleichzeitig ist die Regierung aber stolz auf ihren Plan, den CO2-Ausstoß bis zum Jahr 2050 um 60 Prozent zu verringern.
Die Pinguine auf dem gesponserten Eis geben jetzt klägliche Laute von sich, so als würden sie sterben.
Auf einem Flachbildschirm in der Eislaufbahn läuft ein Werbetrailer, in dem sich echte Blauwale, Pinguine und Eisbären vergnügen. "Scheinheiliger geht's doch nicht mehr", murmelt Murray, "wir müssen dafür sorgen, dass Fliegen als unsozial und uncool gilt." Er spürt die Unruhe unten, die meisten Eislaufeltern haben genug vom Protest, sie wollen ihre Kinder Schlittschuh laufen sehen. Er scheucht die Pinguine vom Eis. "Wir wollen den Kindern nicht den Vormittag verderben."
Sie sind freundliche Protestierer, mit Augenmaß, das verschafft ihnen Sympathien. Sie haben jeder eine Eintrittskarte im Wert von 16 Euro gekauft für ihre Demonstration auf dem Eis. Sie stoßen auf viel Zustimmung, wenn sie höflich Reisebüros blockieren und Aufkleber verteilen mit der Aufschrift "Geschlossen wegen Nachdenkens". Oder, wie neulich bei einem Galadinner für Manager der Luftfahrtindustrie, im Businessanzug auftauchen und ein Verwirrspiel anzetteln, bei dem nicht einmal mehr die Polizei begreift, was geschieht.
Als einer von Murrays Mitstreitern kürzlich in der renommierten Nachrichtensendung "Newsnight" auftrat, brach eine Begeisterung aus, wie sie sonst für Popstars reserviert ist. Die Sender mochten die Phantasie der Aktivisten. Sie mochten die Show. Ob er nicht Lifestyle-Sendungen präsentieren wolle, fragten sie den Mitstreiter. Der lehnte ab und änderte seine Handy-Nummer.
Murray hat beschlossen, solche Anträge als Kompliment zu werten. Klimawandel, das ist seine tiefe Überzeugung, "ist das wichtigste Problem unserer Generation". Aber der Mensch braucht Bilder und Geschichten, um das zu begreifen. Murray weiß das, er selbst studiert Zeichentrickfilm am legendär elitären Royal College of Art. Seine Karriere war programmiert, ein Job mit sechsstelligem Anfangsgehalt in der boomenden britischen Werbeindustrie sicher. Da überfiel ihn die Sache mit der Erderwärmung. Der Plan mit dem schnellen Geld in der Werbung liegt auf Eis, erst mal, sagt Murray. Es sei denn, er darf Filme über das Fliegen drehen.
Quelle: Der SpiegelStatistik: Verfasst von Hadiyati — 26.7.2008, 23:20
]]>